Sechs Thesen, warum Digitalisierungsinitiativen in der Finanzindustrie die hohen Erwartungen nicht erfüllen

Liebe Vorstände, Führungskräfte und Entscheidungsträger von Banken und Sparkassen! Welche Herausforderungen stehen aktuell auf Ihrer Agenda?

Mit Sicherheit beschäftigen Sie sich mit regulatorischen Anforderungen, der anhaltenden Niedrigzinsphase, dem steigenden Wettbewerbsdruck, sinkenden Zinsmargen, dem Fachkräftemangel und neuerdings mit Themen wie der Corona-Krise sowie deren Auswirkungen auf die Risiken ihres Kreditportfolios. Mit großer Wahrscheinlichkeit bewegt Sie aber auch seit geraumer Zeit das Thema Digitale Transformation.

Heutzutage ist es kaum vorstellbar, dass ein Vorstand einer Bank oder Sparkasse seinem Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat nachvollziehbar erklären könnte, warum sich das eigene Institut mit dem Handlungsfeld Digitalisierung bisher noch nicht beschäftigt und auch keine Idee entwickelt hat, wie es den verändernden Kundenanforderungen gerecht wird oder die vorhandenen Digitalisierungspotenziale in Form von Ertragssteigerung, Prozessautomatisierung oder Risikominimierung heben möchte.

Nichts zu tun ist keine Option: auf der Suche nach dem heiligen Gral der Digitalisierung wählen die Institute mannigfaltige Ansätze und Vorgehensweisen

So unterschiedlich die Banken und Sparkassen nun mal sind, so unterschiedlich sind auch deren Maßnahmen- und Umsetzungspläne. Wie sieht Ihr konkreter Plan für die digitale Transformation aus? Vielleicht haben Sie eine oder sogar mehrere der nachfolgenden, beispielhaft dargestellten und häufig im Markt erkennbaren Initiativen bereits ergriffen:

  • Marktresearch: Sie beobachten intensiv Marktveränderungen und das Verhalten direkter und indirekter Wettbewerber?
  • Methodik: Sie haben Prozesse zur Problemeingrenzung und Lösungsfindung etabliert, die vom Kunden gedacht werden? Ihre Projektvorgehen sind inzwischen agil und iterativ?
  • Strategie: Sie haben eine Strategie für die digitale Transformation Ihres Instituts definiert?
  • IT-Infrastruktur: Sie haben bereits mit ersten Maßnahmen begonnen und versuchen zunächst ihre IT-Infrastruktur zu modernisieren?
  • Zentrallösungen: Sie setzen Konzepte Ihrer Spitzen-/Regionalverbände und technische Lösungen Ihrer Rechenzentren?
  • Drittlösungen: Sie setzen auf die Eigenentwicklung von Individuallösungen?
  • Organisation: Sie haben eine Innovations- und/oder Digitalisierungseinheit oder gar ein eigenes InnovationLab etabliert?
  • Kooperationen: Sie kooperieren mit FinTechs und profitieren von deren Technologien?
  • Ventures: Vielleicht gründen Sie sogar eigene Start-ups oder beteiligen sich an welchen?

Unabhängig von der Tatsache, ob Sie eine oder auch die Kombination mehrerer Maßnahmen ergriffen haben, wichtig ist, dass Sie aktiv sind und Ihren Aufsichtsgremien regelmäßig Fortschritte berichten können. Sie können erst mal durchatmen und sich wieder den anderen Themen Ihrer Vorstandsagenda widmen.

Seien Sie vorbereitet, denn früher oder später – häufig auch unerwartet – taucht die Frage nach Ergebnissen und Erfolgen Ihrer Maßnahmen auf

Je nachdem, wie viel Zeit und Ressourcen Sie in Ihre Digitalisierungsinitiativen investiert haben, werden Sie sich früher oder später die Frage stellen: Ist mein Institut mit dem, was es in Bezug auf die digitale Transformation angestoßen und inzwischen vielleicht auch schon realisiert hat, tatsächlich auf dem richtigen Weg oder sogar erfolgreich?

Persönlich habe ich das Gefühl, dass die Vorstände von Banken und Sparkassen in Bezug auf den Umsetzungserfolg immer nervöser werden. Gründe für die zunehmende Nervosität sind sehr vielschichtig, einer liegt sicherlich in dem Verhältnis zwischen den getätigten bzw. geplanten Investitionen und dem zurechenbaren Output.

Insgesamt rückläufige Erträge sowie der zunehmende Kostendruck bei Banken und Sparkassen -begründet durch Markteffekte wie die Niedrigzinsphase, Kosteneffekte durch steigende regulatorische Anforderungen oder den sich verschärfenden Wettbewerb- sind nicht erst seit gestern in nahezu jeder GuV spürbar. Nun kommen noch die Investitionen in die digitale Transformation hinzu. Wenn sich auf der einen Seite die Investitionen exakt quantifizieren lassen, auf der anderen Seite die (indirekten) Erträge, Effizienzsteigerungen oder der Einfluss steigender Kundenzufriedenheit auf das Ergebnis nur schwer zu ermitteln sind, fällt ein isolierter Innovations-/Digitalisierungs-ROI gelinde gesagt mau aus. Dies führt in Teilen dazu, dass die Sinnhaftigkeit von Digitalisierungsinitiativen hinterfragt und inzwischen auch einzelne Initiativen als gescheitert erklärt werden.

Fehlermanagement: Was in der Luftfahrtindustrie gang und gäbe ist, sollten Sie auf Ihre Digitalisierungsinitiativen adaptieren

Grundsätzlich gehören Fehler oder sogar das Scheitern einzelner Maßnahmen und Initiativen in einem Umfeld der Forschung und Entwicklung, zu dem die Digitalisierung in der Finanzindustrie definitiv noch zählt, zur Normalität. Dennoch stellt sich die Frage, warum bestimmte Initiativen nur schleppend vorankommen bzw. woran diese gescheitert sind, wie Sie in Zukunft aus Fehlern der Vergangenheit lernen und insbesondere, ob der Misserfolg hätte verhindert werden können.

In der Luftfahrt haben Fehler häufig eine fatale Wirkung. Aus diesem Grund werden Fehler sehr genau analysiert, deren Ursachen erforscht und hieraus Strategien sowie konkrete Maßnahmen zur zukünftigen Fehlervermeidung abgeleitet. Natürlich haben Fehler in der Luftfahrt häufig eine andere Auswirkung als eine Fehlinvestition in eine Digitalisierungsinitiative einer Bank oder Sparkasse. Dennoch bin ich persönlich der Meinung, dass sich Finanzdienstleister intensiv mit eigenen und im Markt feststellbaren Fehlern beschäftigen sollten, um sich hieraus kontinuierlich zu verbessern.

Aus intensiven Marktbeobachtungen, Diskussionen mit Entscheidungsträgern und auch aus eigener Erfahrung habe ich mit häufig auftretenden Gründen beschäftigt, die aus meiner Sicht zum Scheitern von Digitalisierungsinitiativen geführt haben. Die Gründe habe ich in sechs Thesen überführt, die Ihnen dabei helfen sollen, Ihre eigenen Initiativen erfolgreich zu gestalten:

  1. Problemexploration: Wenn Sie eine Lösung entwickeln, ohne sich vorher mit dem eigentlichen Problem Ihrer zukünftigen Nutzer zu beschäftigen, erhöhen Sie deutlich das Akzeptanzrisiko.
  2. Geschäftsmodell: Ohne ein durchdachtes Geschäftsmodell im Sinne einer MVC (minimum viable company) sind auch die besten Lösungen nicht lange überlebensfähig.
  3. Umsetzungsorientierung: Die Umsetzung kreativer Ideen, Lösungsansätze oder Prototypen des eigenen InnovationLabs scheitern häufig an der harten Realität des Tagesgeschäfts in der Linie.
  4. Kontinuierliche Entwicklung: Das Überladen von Anforderungen an einen MVP (minimum viable product) und Vernachlässigen der kontinuierlichen Weiterentwicklung führt häufig zu Fehlinvestitionen und verlängerten Entwicklungszeiträumen. 
  5. Skalierung: Die Skalierung digitaler Geschäftsmodelle schlägt häufig an den ausbleibenden oder zu geringen Investitionen in die Vermarktung fehl.
  6. Erfolgsmessung: Die Bewertung des Erfolgs digitaler Geschäftsmodelle scheitert oft an einer klassischen Ergebnisrechnung.

In den nächsten Beiträgen werde ich auf die einzelnen Thesen im Detail eingehen und Ihnen meine zentralen Erkenntnisse daraus vorstellen.